Möglichkeiten und Grenzen einer Prüfungsanfechtung

Mit den Möglichkeiten und Grenzen der Anfechtbarkeit einer Prüfungsentscheidung habe ich mich eingehend in meiner Dissertation über die „Möglichkeiten und Grenzen der Anfechtbarkeit juristischer (Staats-)Prüfungen“ beschäftigt.

Eine Zusammenfassung ihres wesentlichen Inhalts finden Sie in der Zeitschrift „Ordnung der Wissenschaft“ 2017, 273 ff.

In der Kurzform gilt Folgendes:

Die Möglichkeiten und Grenzen der Anfechtbarkeit einer Prüfungsentscheidung folgen aus den (Grund-)Rechten des Prüflings einerseits und dem (besonderen) Wesen der Prüfungsentscheidung andererseits.

Anspruch auf „richtige“ Prüfungsentscheidung

Im Ausgangspunkt hat der Prüfling einen selbstverständlichen, aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, folgenden Anspruch auf eine „richtige“ Prüfungsentscheidung.

Die Erfüllung dieses Anspruchs erfordert Vorkehrungen rechtlicher und tatsächlicher Art für das Verfahren der Ermittlung der Prüfungsleistung, deren Bewertung und ihrer Überprüfung.

Geltendmachung von Prüfungsverfahrensfehlern

Voraussetzung der „Richtigkeit“ der Prüfungsentscheidung ist zunächst, dass der Prüfling die Möglichkeit hatte, im Rahmen des Leistungsermittlungsverfahrens seine wahre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

War der Prüfling während der Prüfung in seiner „wahren“ Leistungsfähigkeit durch in seiner Person begründet liegende oder sonstige innere oder äußere Umstände erheblich beeinträchtigt, deren Vorliegen für das Prüfungsamt offensichtlich oder vom Prüfling rechtzeitig geltend gemacht worden war, für die aber gleichwohl keine oder jedenfalls keine hinreichenden Abhilfe- und/oder Ausgleichsmaßnahmen ergriffen worden sind, liegt ein beachtlicher Verfahrensmangel vor.

Ein Verfahrensmangel begründet aber nur dann einen zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung führenden Verfahrensfehler, wenn er sich auch auf das Gesamtergebnis der Prüfung ausgewirkt haben kann.

Voraussetzung ist mitunter zudem weiter, dass der Prüfling vor der Ergebnisbekanntgabe erklärt hat, dass er aufgrund des Verfahrensmangels das Ergebnis der Prüfung nicht gegen sich gelten lassen will.

Als rechtserhebliche Verfahrensfehler kommen demnach bei Vorliegen der vorstehenden Voraussetzungen die folgenden Beeinträchtigungen in Betracht:

  • Eine nicht (an)erkannte „Prüfungsunfähigkeit“ im Sinne einer erheblichen, krankheitsbedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit,
  • Prüfungsverfahrensfehler im engeren Sinne, also die Nichteinhaltung von Vorgaben der einschlägigen Prüfungsordnung für das Verfahren der Leistungsermittlung (z.B.: wesentliche Über-/Unterschreitung der vorgesehenen Prüfungsdauer)
  • eine „Prüfungsstoffüberschreitung“ als Sonderfall des Prüfungsverfahrensfehlers im engeren Sinne, d.h. die Stellung von unzulässigen bzw. ungeeigneten Prüfungsaufgaben/-fragen, also solchen, deren Bewältigung/Beantwortung Kenntnisse und/oder Fähigkeiten erfordert, die nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht gefordert werden dürfen, oder die für die Berufsausübung nicht erforderlich sind,
  • leistungsbeeinträchtigendes Fehlverhalten des Prüfers bei mündlichen oder praktischen Prüfungen durch Verstoß gg. Fairness- und/oder Sachlichkeitsgebot,
  • unzumutbare äußere Bedingungen der Leistungserbringung, etwa übermäßige Hitze oder Kälte im Prüfungsraum, (Lärm-)Belästigungen durch Bauarbeiten in der Nähe des Prüfungsortes, (Mit-)Prüflinge, etc.

Ob das Leistungsermittlungsverfahren den (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben entsprechend durchgeführt worden ist, unterliegt der vollständigen (gerichtlichen) Überprüfung.

Wenn ein erheblicher Prüfungsverfahrensfehler vorliegt, kann dieser immer nur durch eine Wiederholung der Prüfung ausgeglichen werden, auch wenn dem Prüfling zumeist eine bessere Bewertung seiner fehlerhaft bewerteten Prüfungsleistung lieber wäre.

Geltendmachung von Bewertungsverfahrensfehlern

In der jeweils einschlägigen Prüfungsordnung ist geregelt bzw. muss geregelt sein, von wie vielen Prüfern mit welcher Qualifikation in welcher Art und Weise die Prüfungsleistung zu bewerten ist.

Diese Vorschriften sind im Lichte des Grundrechts der Berufsfreiheit auszulegen und anzuwenden, aus dem sich zudem weiter gehende Maßstäbe bzw. Grundsätze für das Verfahren der Leistungsbewertung ergeben können.

So ergibt sich etwa das meist nicht gesetzlich festgeschriebene Erfordernis, dass der Prüfer aufgrund seiner körperlichen und geistigen Verfassung dazu in der Lage sein muss, die von dem Prüfling erbrachte Leistung vollständig und zutreffend zu erfassen.

Auch das (verfassungsrechtliche) Gebot der selbstständigen und unabhängigen Leistungsbewertung hat ebenso wie die gebotene Unbefangenheit des Prüfers nicht immer eine ausdrückliche Regelung erfahren.

Der Prüfling kann natürlich verlangen, dass die sich aus der Prüfungsordnung und der Verfassung ergebenden Bewertungsverfahrensvorschriften eingehalten werden. Ob dies bei der Durchführung der streitgegenständlichen Prüfung der Fall war, unterliegt der vollständigen (gerichtlichen) Kontrolle.

Im Falle des Vorliegens eines erheblichen Prüfungsverfahrensfehlers kann der Prüfling eine Neubewertung seiner fehlerhaft bewerteten Prüfungsleistung beanspruchen, soweit diese noch gegenständlich vorliegt bzw. noch eine hinreichende Beurteilungsgrundlage vorhanden ist.

Anderenfalls kommt nur die Annullierung des Prüfungsergebnisses und die Wiederholung der Prüfung in Betracht.

Geltendmachung von Fehlern bei der Prüfungsleistungerfassung

Notwendige Grundlage einer „richtigen“ Leistungsbewertung ist, dass der Prüfer die Prüfungsleistung vollständig und zutreffend erfasst.

Unterlaufen ihm bei der Feststellung der relevanten Prüfungsleistung Fehler, liegt ein so genannter „Sachverhaltsirrtum“ vor, der üblicherweise als Bewertungsfehler angesehen wird. Da die Bewertung einer Prüfungsleistung aber eigentlich erst nach deren Erfassung erfolgt, liegt richtigerweise bei „Sachverhaltsirrtümern“ eigentlich ein Verfahrensfehler vor.

Jedenfalls muss sich der „Sachverhaltsirrtum“ auf das Ergebnis der Bewertung ausgewirkt haben können, damit der Prüfling eine erneute Erfassung seiner Prüfungsleistung und deren sich anschließende erneute Bewertung verlangen kann.

Geltendmachung von Bewertungsfehlern

Kraft seines Anspruchs auf eine „richtige“ Prüfungsentscheidung kann der Prüfling im Grundsatz auch verlangen, dass die von ihm erbrachte Prüfungsleistung mit einer ihrer Qualität entsprechenden und insoweit „richtigen“ Note/Punktzahl bewertet wird.

Das Urteil des Prüfers über die Qualität der Prüfungsleistung ist aber durch objektive Bewertungsvorgaben/-kriterien nicht vorbestimmt.

Es stellt sich vielmehr als das Ergebnis eines mehr oder weniger komplexen, dreistufigen Abwägungsvorgangs dar, im Rahmen dessen der Prüfer das Abwägungsmaterial sammelt, gewichtet und abwägt und das so ermittelte Abwägungsergebnis einer der Noten und/oder Punktzahlen zuweist, die nach der Prüfungsordnung vergeben werden können.

Im Rahmen der Sammlung des Abwägungsmaterials nimmt der Prüfer eine fachspezifische Bewertung der Prüfungsleistung vor, indem er die von dem Prüfling gegebene(n) Antwort(en) auf die Prüfungsfrage(n) bzw. angebotene(n) Lösung(en) der Prüfungsaufgabe(n) an den fachlichen Anforderungen misst, die sich seiner Einschätzung nach aus dem zur Prüfung gestellten Sachverhalt i.V. m. der/den Aufgabenstellung(en) ergeben.

Bei der fachspezifischen Bewertung der Prüfingsleistung muss der Prüfer die objektiven Bewertungsmaßstäbe beachten, die sich aus dem einfachen Recht, insbesondere der einschlägigen Prüfungsordnung, sowie dem Verfassungsrecht ergeben.

Der Prüfer darf keine überzogenen und/oder sachfremden Prüfungsanforderungen aufstellen und er muss fachliche Richtigkeits- und Vertretbarkeitsmaßstäbe beachten.

Vor allem muss der Prüfer den „Antwortspielraum“ des Prüflings in Fachfragen respektieren, nach dem er eine vertretbare und vom Prüfling mit gewichtigen bzw. guten Gründen folgerichtige begründete Lösung nicht deshalb als falsch bewerten darf, nur weil er in der maßgeblichen Fachfrage eine andere Auffassung als der Prüfling vertritt.

Ob der Prüfer die objektiven Maßstäbe beachtet hat, die den Vorgang der Sammlung des Abwägungsmaterials steuern, unterliegt der vollständigen Prüfung durch die Widerspruchsbehörde und das Verwaltungsgericht, wobei Gegenstand der Kontrolle allein die Bewertungsbegründung des Prüfers ist.

Einwände gegen die „prüfungsspezifischen Wertungen“ des Prüfers

Das Ergebnis der fachspezifischen Bewertung der Prüfungsleistung auf der ersten Stufe des Abwägungsvorgangs wird also durch objektive (Bewertungs-)Maßstäbe bestimmt.

Demgegenüber kommen auf den weiteren Stufen beim Gewichten und Abwägen der positiven und negativen Leistungsaspekte und dem Notenzuweisungsakt als Kern des Bewertungsvorgangs ganz überwiegend subjektive Einschätzungen des Prüfers zum Tragen.

Diese haben sich während der (bisherigen) Ausübung des Prüferamtes und einschlägiger beruflicher Tätigkeit herausgebildet und sind vor allem durch den ständigen Vergleich der an die Prüflinge gestellten Aufgaben und ihres jeweiligen Leistungsniveaus geprägt.

Zu den „prüfungsspezifischen Wertungen“ der Prüfer zählen etwa:

  • Die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung,
  • die Beurteilung der Überzeugungskraft der Argumentation des Prüflings, soweit diese nicht an objektiven Kriterien messbar ist,
  • die Gewichtung und Abwägung der positiven und negativen Leistungsaspekte,
  • die Bestimmung der Anforderungen für die Vergabe der in Betracht kommenden Noten/Punktzahlen und
  • die Einordnung der Leistung des Kandidaten in diesen Bezugsrahmen, also der Notenzuweisungsakt.

Eingeschränkte (gerichtliche) Kontrolle

Da die prüfungsspezifischen Wertungen der Prüfer allein auf ihren subjektiven, individuellen Einschätzungen und nicht auf der Anwendung objektiver Maßstäbe beruhen, lässt sich deren (Un-)Richtigkeit nicht feststellen. Sie könnten immer nur durch eigene Wertungen ersetzt werden.

Die Widerspruchsbehörde und das Verwaltungsgericht können daher im Rahmen ihrer Rechtsmäßigkeitskontrolle nur
überprüfen, ob der Prüfer seine Bewertung schlüssig und nachvollziehbar begründet hat und ob diese dem Gebot der rationalen Abwägung gerecht wird.

Zusätzliche verwaltungsinterne Kontrolle

Aufgrund der nur eingeschränkt möglichen und erfolgenden (gerichtlichen) Kontrolle der prüfungsspezifischen Wertungen verfügen die Prüfer insoweit über einen Abwägungs- bzw. Bewertungsspielraum.

Die dadurch entstehende Rechtsschutzlücke muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfasssungsgerichtes durch die Einrichtung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens kompensiert werden.

In diesem Verfahren müssen die Prüfer ihre prüfungsspezifischen Wertungen im Lichte der gegen sie vom Prüfling erhobenen Einwände überdenken, wenn diese hinreichend substantiiert, d.h. konkret und nachvollziehbar formuliert sind.

(Rechtsschutz-)Möglichkeiten und Grenzen im Überblick

Der Prüfling hat einen Anspruch auf eine „richtige“ Prüfungsentscheidung. Es unterliegt insoweit der vollständigen (gerichtlichen) Überprüfung, ob die Leistungen des Prüflings verfahrensfehlerfrei ermittelt worden sind und ob deren Bewertung auf formellen und/oder materiellen Fehlern beruht.

Erhebliche Verfahrensfehler führen zu einem Anspruch auf Wiederholung der Prüfungsleistung, erhebliche Abwägungs-/Bewertungsfehler begründen einen Anspruch auf die Neubewertung der von ihm behafteten Prüfungsleistung, wenn diese noch gegenständlich vorhanden bzw. noch eine hinreichende Bewertungsgrundlage vorhanden ist.

Anderenfalls führen sie zu einer Annullierung des Prüfungsergebnisses und einem Anspruch auf Wiederholung der Prüfung.

Mit Aussicht auf Erfolg kann der Prüfling die folgenden Abwägungs-/Bewertungsfehler geltend machen:

  • Missachtung von Bewertungsvorgaben in der Prüfungsordnung
  • Missachtung von verfassungsrechtlichen Bewertungsvorgaben, insbesondere des Gebots der Respektierung des „Antwortspielraums“ des Prüflings in Fachfragen, des Gleichbewertungsgebots, des Willkür- bzw. Verbots der Anstellung sachfremder Erwägungen
  • Fehlende Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der Bewertung infolge eines Begründungs-/Bewertungsdefizits
  • Abwägungsfehler (Ausfall der Abwägung, Abwägungsdefizit, -fehleinschätzung, -disproportionalität)

Einwände gegen die so genannten prüfungsspezifischen Wertungen des Prüfer führen, wenn sie hinreichend substantiiert sind, zu einem Anspruch auf deren Überdenken in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren.